Premiere: 30.01.2022
Keines Haus, Staatstheater Mainz (DE)
14 Performer, 2 Techniker
Raum: 13 m x 12 m
Aufführungsdauer: ca. 1:00 h
Eine Produktion von tanzmainz/ Staatstheater Mainz 2022
• Von und mit den Mitgliedern des tanzmainz Ensembles: Daria Hlinkina, Madeline Harms, Amy Lim, Bojana Mitrović, Polina Nikolaeva, Nora Monsecour, Milena Wiese; Paul Elie, Federico Longo, Jaume Luque Parellada, Alberto Terribile, Louis Thuriot, Thomas Van Praet, John Wannehag
• Choreografie Rafaële Giovanola
• Dramaturgie: Rainald Endraß
• Komposition: Tiago Cerqueira
• Lightdesign, Bühne: Wil Frikken
• Kostüme: Mathilde Grebot
• Choreographische Assistenz: Álvaro Esteban, Bärbel Stenzenberger
• Probenleitung: Bärbel Stenzenberger
•Direktor tanzmainz: Honne Dohrmann • Produktionsleitung: Lisa Besser
• Mitarbeiterin der Tanzdirektion und Gastspielkoordinatorin: Hannah Meyer-Scharenberg • Assistentin der Tanzdirektion: Julia Kraus
über SPHYNX
„Was ist der Name dieses Wesens, es erscheint am Morgen auf vier, am Mittag auf zwei und am Abend auf drei Beinen.“ (Das Rätsel der Sphinx aus der Ödipus-Sage)
Gehen, laufen, staksen, taumeln: Was uns vertraute menschliche Fortbewegungsweisen sind, scheint mit unserer Vorstellung von der ästhetisch-harmonischen Kunstform Tanz auf den ersten Blick wenig zu tun zu haben. Doch schon in den 1960er Jahren entdeckten die performativen Künste diesen Prototyp menschlicher Fortbewegung als Ausgangsmaterial für sich. Theater- und Tanzschaffende wie Samuel Beckett, Steve Paxton oder Trisha Brown begannen mit Gangarten und Schrittmustern zu experimentieren. Rafaële Giovanola führt diese Linie fort. Schon seit Längerem setzt sie sich künstlerisch mit den Grenzen des Menschseins auseinander und stellt ganz elementar und physisch die Frage, was uns eigentlich ausmacht.
PRESSESTIMMEN in Auszügen
Rafaële Giovanola denkt immer wieder neu über den menschlichen Körper nach. Mit tanzmainz hat die Bonner Chefin von Cocoon Dance nun den Gang erforscht. … Faszinierend sind diese sich wandelnden Körper und Haltungen allemal, vor allem, wenn aus den Einzelnen akrobatische Geh-Duette werden, Körper sich verbinden und wieder auseinandergleiten, für einen kurzen Moment seltsame Doppelwesen bilden, immer in Bewegung, bis auf einen kurzen Moment des Stillstands. … In gut 20 Jahren hat sich Giovanola, einst Tänzerin am Ballett Frankfurt, einen Namen gemacht mit ihrer Körperforschung, die sich in sehr kleinen Gruppen aus meist nicht mehr als einem halben Dutzend Tänzern immer wieder neu die Aufgabe gibt, gewissermaßen über den Körper und seine herkömmlichen Funktionen und Bewegungsmöglichkeiten hinauszudenken. … Nun aber, in dem deutlich größeren Ensemble von tanzmainz, tritt noch mehr zutage, was auch schon Arbeiten wie „Vis Motrix“ oder jüngst in Darmstadt „Body Shots“ auszeichnet. Giovanola geht es weniger darum, Wesen jenseits des Menschen tänzerisch vorwegzunehmen. Eher ist es eine Suche nach dem Menschlichsten, die sie antreibt, in der Befragung dessen, was wir als „human“ definieren oder empfinden. Mit mehr als doppelt so vielen Tänzern wie in den meisten Arbeiten von Cocoon Dance tritt das Virtuose, das auf akribischer gemeinsamer Arbeit beruht, beeindruckend hervor. ... Das Premierenpublikum jedenfalls riss es von den Sitzen und zu rhythmischem Applaus hin. (Eva Maria-Magel, Rhein-Main-Zeitung/ F.A.Z, 01.02.2022)
Unter der Leitung Honne Dohrmanns scheint Tanzmainz eine aparte Ecke gesucht und gefunden zu haben, ein Stück weg vom benachbarten Hessischen Staatsballett. Im Kleinen Haus präsentiert man kompakte Ensemble-Stücke, rund eine Stunde lang, deren (zuletzt) Choreografinnen sich der peniblen Erforschung von Bewegung widmen, aber damit auch atmosphärisch und energetisch Starkes zu schaffen wissen. Jetzt ist es die in den USA geborene Schweizerin Rafaële Giovanola, die mit der Company CocoonDance in Bonn beheimatet ist. „Sphynx“ nennt sie ihre jetzt uraufgeführte Choreografie, sie bezieht sich damit auf das Ödipus von der Sphinx gestellte Rätsel des Wesens mit vier Beinen am Morgen, zweien am Mittag, dreien am Abend. Es geht rund 55 Minuten lang sehr vielschichtig um die Fortbewegung des Menschen. Und nur für einen Moment kann man denken, das sei in etwa wie Monty Pythons „Ministry Of Silly Walks“ – die 14 Tänzerinnen und Tänzer haben zusammen mit der Choreografin viel Intrikateres und Diffizileres entwickelt. ... „Sphynx“ ist zuerst vor allem drollig, mit Staunen anzusehen, nimmt dann Schwung auf, wenn das Ensemble zu ausgreifenderen Bewegungen kommt, auch zum vierbeinigen Teil, bei dem man gelegentlich an eine Herde von Antilopen oder ähnlichem denkt. Trotzdem erreicht dieses Tanzstück wegen des Verzichts auf synchrone Ensembleszenen nicht den Energiereichtum einer Choreografie von Sharon Eyal. Aber man nimmt doch Bilder davon mit sich, auf die Straße, nach Hause, wo der eine oder die andere vielleicht ein paar neue Geh-Weisen ausprobiert. (Sylvia Staude, fr.de (Frankfurter Rundschau Online, Abruf: 01.02.2022)
DAS GEHEIMNIS DES AUFRECHTEN GANGES [Titel] Manchmal reicht eine zündende Idee für ein choreografisches Feuerwerk. Die ehemalige Forsythe-Tänzerin Rafaële Giovanola hat sich für ihre jüngste Kreation bei tanzmainz vom titelgebenden Rätsel der „Sphynx“ inspirieren lassen. Der antiken Sage nach fragt die Sphynx nach einem abwechselnd vier-, zwei- und dreibeinigen Wesen, das einzig Ödipus als Mensch in den unterschiedlichen Stadien der Fortbewegung von Kindheit, Erwachsensein und Alter erkannte. Auf wie viele Arten kann man gehen? Das famose vierzehnköpfige Mainzer Ensemble hat in einer außergewöhnlich langen Probenzeit diese Frage gefühlt hundertfach beantwortet. Anfangs bewegen sich die Tänzer*innen wie an unsichtbaren Schnüren gezogen in geraden Linien über die fast leere Bühne. Schwarze Wandtafeln im Hintergrund und Lichtstreifen auf dem Boden (Lichtdesign: Wil Frikken) sorgen für eine streng geometrische Gliederung des Bühnenraums. Jeder und jede Einzelne entwickelt eine andere Arte zu gehen: von beinahe natürlich bis höchst kunstfertig, von hoch emotional bis verblüffend artifiziell – nicht zu vergessen auch mal sehr lustig. Nebenbei ist die Aufführung eine überzeugende Demonstration dessen, was Tanztheater kann: fantastische Geschichten mit den Mitteln des Körpers erzählen. Nicht umsonst gilt die die Schweizerin Rafaële Giovanola, die seit über 20 Jahren zusammen mit Rainald Endraß die Company CocoonDance in Bonn leitet, als eine der interessanten Künstlerinnen im zeitgenössischen Tanz.
Angetrieben von der elektronischen Auftragskomposition des portugiesischen Musikers Tiago Cerqueira, der mit integrierten Atemgeräuschen und Herzschlagüberwachung ganz dicht an die Protagonist*innen heranrückt, entwickeln die Tänzer*innen ein atemberaubendes Spektrum von Fortbewegung. (Isabelle von Neumann-Cosel, www.tanznetz.de, Abruf: 03.02.2022)
Faszinierende Gangarten [Titel] Es ist faszinierend, wie die Tänzer und Tänzerinnen immer neue Gangarten vorführen und dessen nicht überdrüssig zu werden scheinen. Was eintönig klingt, ist es ganz und gar nicht, denn es zeigt das riesige Spektrum, das sich hinter dem schlichten Begriff „Gehen“ verbirgt … Ebenso erstaunlich ist es zu sehen, wie sich aus dem Motiv des Gehens ein Stück von höchster Intensität entwickelt. Denn irgendwann wird aus dem erst seltsam anmutenden und heterogenen Treiben auf der Bühne eine überaus sinnliche und eindringliche Choreografie, die die Zuschauer vollkommen in ihren Bann zieht. … Doch bei aller Individualität ist dem 14-köpfigen tanzmainz-Ensemble eines gemeinsam: absolute Konzentration und totale Hingabe, mit der sie diese physisch und sicher auch psychisch äußerst anspruchsvolle Choreografie meistern. Zurecht ernten sie für diese Leistung lang anhaltenden Applaus und Standing Ovations. (Natascha Olbrich, Allgemeine Zeitung Mainz, 01.02.2022)
Bewegung als Fest [Titel] – in der Choreografie „Sphynx“ von Rafaële Giovanola loten 14 Tänzerinnen und Tänzer die Grenzen menschlicher Fortbewegung aus. Mit der zweiten Uraufführung am Staatstheater Mainz in der laufenden Spielzeit unterstreicht das Ballettensemble tanzmainz seinen hohen künstlerischen Anspruch. (Peter Zschunke, dpa, 01.02.2022)
Je eigenartiger die Darstellung, desto besser – so scheint die Devise dieser Produktion zu lauten, die sich zwar als avantgardistisch gebärdet, aber letztlich in die Unklarheit und Unbestimmtheit hineinflüchtet. Doch so glänzend Quatsch auch angepinselt sein mag, er bleibt eben Quatsch. (Björn Hayer, Die Deutsche Bühne, 31.01.2022)
Mehr geht nicht [Titel] Die Künstler staksen, wippen oder stolzieren. Sie verschieben die Hüfte, knicken in den Beinen ein oder fassen hüpfend mit den Händen abwechselnd nach unten. Skurrile, verschränkte Bewegungen sind zu sehen und werden in perfekter Präzision wiederholt. Bilder entstehen, in denen die Menschen zu Tieren werden. In denen sie sich wie zufällig miteinander verschlingen und wieder auseinanderdriften. Wie gebannt schaut man hin auf diese verfremdeten Körper, ist eine knappe Stunde lang gefangen, wozu diese bis an die Grenzen gebogen, bei voller Konzentration in der Lage sind. Die in den USA geborene Choreografin Rafaële Giovanola liebt dieses Experimentieren mit den Extremen. In dem bestens ausgebildeten Ensemble aus der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt hat sie hervorragende Probanden dafür gefunden. Gemeinsam sind die Schweizerin und die Tänzer*innen auf eine spannende Forschungsreise gegangen, um das, was jeder meint, gut zu kennen, den menschlichen Körper, aus neuen Perspektiven zu betrachten. … Auch mit den fremden Tänzern beeindruckt ihre originelle Entwicklungs-Arbeit. Nicht nur das begeisterte Premierenpublikum in Mainz wird sich wünschen, dass da in Zukunft noch mehr geht. (Katja Sturm, Strandgut, 3/2022)
Rafaële Giovanolaie erhält für „Sphynx", als beste Inszenierung Tanz in der Spielzeit 2021/22 den Theaterpreis DER FAUST
„Rafaële Giovanolas „Sphynx“ beeindruckt durch die äußerst präzise und konsequente choreographische Umsetzung einer fesselnden Idee: die Deklination des menschlichen Ganges. Hier wird die Gattung Mensch auf kluge und faszinierende Art auf ihre Evolution hin befragt und dabei ein Kaleidoskop des menschlichen Ganges aufgefächert, welches durch großen tänzerischen Einfallsreichtum besticht. In einer sehr heutigen Bildsprache sind Kostüme, Licht und Bühne genauestens aufeinander abgestimmt um den Blick des Zuschauenden immer wieder zurück auf den Körper zur lenken. Die individuellen Feinheiten einer jeden Tänzerin, eines jeden Tänzers sind genauestens ausgearbeitet. Selten wurde aus einer scheinbar einfachen Idee eine so große choreographische Fülle erarbeitet.“
(Aus der Begründung der Preisträger*innen-Jury der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste, Berlin)